Donnerstag, 13. März 2008
DIE PERFEKTE WELLE IM KINO
"Eine Diktatur, so wie im dritten Reich - das kann heute doch gar nicht mehr passieren!"

Das dieser einfach daher gesagte Satz nicht wirklich Bestand haben muss, zeigte bereits 1968 ein Experiment in den USA, das später von Morton Rhue als Roman "Die Welle" veröffentlicht wurde. Regisseur Dennis Gansel ("Napola") und die Constantin Film haben jetzt den Stoff, der in den Schulen allgemein zur Pflichtlektüre gehört, auf die große Kinoleinwand gebracht.

Gymnasiallehrer Rainer Wenger (Jürgen Vogel) hat für die Projektwoche den Autokratie-Kurs zugeteilt bekommen, obwohl er bei seiner alternativen Vergangenheit eher für das Thema Autonomie geeignet wäre. Als seine Schüler jedoch die oben genannte Meinung vertreten, wird sein pädagogischer Ehrgeiz geweckt zu beweisen, dass eine Diktatur gerade heute eben doch möglich ist.



MACHT DURCH DISZIPLIN!

Erst einmal fordert er mehr Respekt ein. Er ist nicht mehr "der Rainer", sondern "Herr Wenger". Außerdem muss jeder, der etwas zu sagen hat, aufstehen. Und gerade sitzen ist schließlich gut für die Durchblutung.

MACHT DURCH GEMEINSCHAFT!

Gemeinsam ist man stark. Warum nicht die Schwächeren beim Lernen unterstützen oder gar abschreiben lassen, wenn so die Gruppe besser wird. Alle sind gleich viel wert - niemand wird mehr ausgeschlossen.

MACHT DURCH HANDELN!

Diese Gemeinschaft muss man auch nach aussen dokumentieren. Einheitliche Kleidung, eine eigene Begrüßung und ein Logo "Die Welle" sind ein Anfang zur Selbstdarstellung. Ein Internetauftritt und gemeinschaftliche Parties ziehen schließlich auch andere in den Bann.

Das Experiment funktioniert hervorragend, weil alle plötzlich Zusammengehörigkeit und auch einen Halt spüren, den sie vorher in ihrem - teils antiautoritären teils zerrütteten - Elternhaus nicht hatten. Auch Aussenseiter fühlen sich endlich in der Gruppe respektiert.

Allerdings führt das Gemeinschaftsgefühl schnell dazu, dass Mitschüler mit anderer Meinung ausgegrenzt werden. Anfangs noch unterschwellig, später mit Pöbeleien und auch Gewalt. Lehrer Rainer merkt gar nicht, wie schnell er die Kontrolle über das Experiment verliert. Als er endlich versucht, schlimmeres zu verhindern, kommt es zur blutigen Konfrontation.



Glaubt man aktuellen Umfragen im Internet, dann sind fast 85% der User davon überzeugt, dass das Experiment heute genauso ausgehen würde wie 1967. Ich kann mir sogar vorstellen, dass es genauso enden kann wie in der deutsche Neuverfilmung.

Zu sehr fehlt vielen Jugendlichen heute der Halt und die Orientierung. Früher bekamen die Kids Komsumgüter statt Aufmerksamkeit von den überforderten Eltern. Heutzutage bekommen sie in Zeiten von steigender Armut der Mittelschicht nicht einmal mehr das. Ein Zeugnis dieser Haltlosigkeit sind diverse Doku Soaps im Privatfernsehen ("Teenager ausser Kontrolle"). Die in den Medien dokumentierte Schul Dramen der letzen Jahre zeigen die Realität noch deutlicher.

Regisseur und Drehbuchautor Dennis Gansel schafft es, diese manchmal subtile und manchmal offensichtliche Haltlosigkeit unserer Zeit auf den inzwischen 40 Jahre alten Stoff zu übertragen. Seine Aktualisierungen haben der Story nicht nur gut getan, sie lassen die TV Adaption aus den 80ern im Nachhinein ziemlich plump und bieder aussehen.



Jürgen Vogels Spiel als Lehrer ist deutlich überzeugender und die Entwicklung der Geschichte viel eher nachvollziehbar als in dem Vorgänger. Zumal die "Welle" und seine Anhängerschaft in der Neuverfilmung wesentlich überschaubarer gehalten ist als 1981, wo sie angeblich die ganze Schule ergriffen haben soll. Da sich die Handlung im TV jedoch nur auf zwei Widerständler konzentiert, aber nie die Mitläufer und ihre Motive zeigt, sieht man eigentlich nie etwas von der Bewegung der "Welle" und ihrer Gefährlichkeit. Das ist ein sehr grosses Plus der Kinoadaption und seiner Glaubwürdigkeit.

Zwar geraten vor allem die jugendlichen Figuren dabei manchmal etwas klischeehaft, aber solche Pauschalisierungen muss man bei der Thematik in Kauf nehmen. So bekommt das aus dramaturgischen Gründen ziemlich plakative Ende im Nachhinein einen etwas bitteren Beigeschmack. Da wir aber von grossem Kino reden und nicht von einer TV Adaption der 80er, ist ein derartiges Ende nur konsequent (1981 wurde einfach ein Fernseher aufgestellt, die Ansprache eines grossen Führers angekündigt und Adolf Hitler mit einer seiner Reden vorgeführt, um die Schüler als perfekte Hitler Jugend zu entblößen).

Gansel gelingt es, mit seiner Adaption zu emotionalisieren und am Schluß zu schockieren. Bilder, Kamera und Schnitte im jugendhaften Stil werden verbunden mit einem Thema, das vielleicht aktueller nicht sein könnte. Wer das Projekt nicht als Lehrfilm für Kritiker sieht, sondern sich auf emotionales Kino einlässt, wird begeistert sein.
Darauf aufbauende tiefergehende Diskussionen zum Thema sind nicht unbedingt das Ziel eines Kinofilms, aber in diesem Fall vielleicht eine mögliche Konsequenz.
Bewertung: 10/10

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