Sonntag, 9. November 2008
Der Fall Matthew Shepard
Die Hölle von Wyoming
Warum der Mord an dem schwulen Studenten Matthew Shepard vor genau zehn Jahren die USA bis heute beschäftigt.
Von Frank Stern

Laramie ist kein Ort für einen Schwulen. Laramie - das klingt eher nach Cowboys, die durch Saloon-Türen poltern, sich eine Flasche Whiskey greifen und ein, zwei Mädchen mit aufs Zimmer nehmen. Es klingt nach Sternenbanner statt nach Regenbogenfahne. Wenn Amerika schwul ist, dann an den Rändern, in New York oder San Francisco. Nicht im Herzen. Nicht in Laramie/Wyoming.

Matthew Shepard hätte auch anderswo studieren können. Er war in der Schweiz zur Schule gegangen, sprach Deutsch und Italienisch. Doch er entschied sich für die amerikanische Provinz und schrieb sich im Herbst 1998 an der Uni von Laramie ein, an der schon sein Vater studiert hatte. Ein paar Wochen später war er tot - für die einen eine Art Märtyrer, für die anderen ein Schwuler, der sich in Gefahr begeben hatte und darin umgekommen war.

Es gibt Morde, die ähnlich grausam sind. Oder schlimmer. 1998 wurden in den USA 26 Homosexuelle aus Schwulenhass umgebracht, aber keiner dieser Fälle schlug so hohe Wellen wie der von Matthew Shepard. Selbst ausländische Medien griffen die Story vom Tod des 21-Jährigen auf, den zwei Gleichaltrige aus Laramie, die sich als Schwule ausgaben, in ihren Wagen lockten, mit ihm an einen einsamen Ort fuhren und ihm mit einem Revolver den Schädel einschlugen. Mit ausgestreckten Armen an einen Koppelzaun gebunden, wurde er 18 Stunden später gefunden. Da lebte er noch. Oder besser, er atmete. Fünf Tage lang hing er an Schläuchen und Maschinen. Am 12. Oktober 1998 starb er, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Keine Tränen für Schwule

Vielleicht brauchte Amerika diesen schmächtigen Jungen mit der Zahnspange, um sich einzugestehen, dass es sich trotz aller Political Correctness und aller öffentlichen Toleranzappelle im Grunde einen Dreck um die Situation von Schwulen scherte. Vielleicht brauchte es die Bilder der fassungslosen Eltern und jener christlichen Fanatiker, die ihnen beim Begräbnis ihres Sohnes Schilder mit der Aufschrift "No Tears for Queers" (Keine Tränen für Schwule) und "Matt in Hell" (Matthew in der Hölle) entgegenreckten.

Jedenfalls kam danach die Diskussion um den Hate Crimes Prevention Act wieder in Gang, ein Gesetz zum Schutz vor Verbrechen aus Hass, die als Bundesangelegenheiten vom FBI verfolgt werden können und die harte Strafen nach sich ziehen. Angriffe auf Schwule zählten bis dahin nicht dazu. Und sie tun es bis heute nicht: Nachdem der US-Senat den Matthew Shepard Act nach jahrelangem Hin und Her 2007 befürwortet hatte, kündigte Präsident Bush sein Veto an. Seither liegt das Gesetz auf Eis. "Wir waren so nah dran", sagte Matthews Mutter Judy enttäuscht.

Vor jeder Wahl nimmt die Gewalt zu

2007 war überhaupt ein schlechtes Jahr für Amerikas Homosexuelle. 21 von ihnen fielen nach Angaben des New Yorker Anti-Gewalt-Projekts (AVP) Hassverbrechen zum Opfer. Die verbalen und physischen Attacken auf Schwule, Lesben und Transsexuelle stiegen gegenüber dem Vorjahr landesweit um 24 Prozent auf mehr als 2400.

Dabei reicht die Phalanx derer, die gegen Schwule Stimmung machen, von Rap-Musikern über Politiker bis hin zu bibelfesten Kirchenmännern, die von Bühne, Pult und Kanzel aus zum großen Halali blasen. "Immer wenn ein Wahljahr ansteht, beobachten wir eine Zunahme der Gewalt", sagt AVP-Sprecherin Kim Fountain. Im Frühjahr warnte die Republikanerin Sally Kern aus Oklahoma wieder vor Homosexuellen als Gefahr für die nationale Sicherheit.

Ihr Parteifreund John McCain hält sich alle Türen offen. Mal spricht sich der Präsidentschaftsbewerber dagegen aus, dass schwule Paare Kinder adoptieren dürfen, mal will er die Entscheidung darüber den Bundesstaaten überlassen. Mal stimmt er gegen eine Änderung der US-Verfassung, mit der die Ehe als Bund von Mann und Frau festgeschrieben werden soll, mal attackiert er die Obersten Richter von Kalifornien, weil sie die Homo-Ehe in ihrem Bundesstaat legalisiert haben. "Die Bewegung für Akzeptanz und Gleichheit von Schwulen steckt in einer Sackgasse", sagt Judy Shepard, "trotz einiger Lichtblicke." McCain zählt sie nicht dazu.

"Gott hasst Schwule"

Matthew sei nicht allein gewesen, als er da draußen am Zaun hing, hat Dennis Shepard in der Verhandlung gegen die Mörder seines Sohnes gesagt. Die Sterne hätten in jener Nacht über ihn gewacht. Und am nächsten Morgen die Sonne. "Und er hatte einen Freund bei sich. Er hatte Gott." Die pure Verzweiflung. Vor dem Gerichtsgebäude machten Amerikas Inquisitoren deutlich, was ihr Gott von seinem Jungen hält: "God Hates Fags!" - Gott hasst Schwule. Die Fronten im Land, so scheint es, haben sich seither kaum verschoben. "Zehn Jahre Veränderung und kein Fortschritt", lautet Judy Shepards Fazit.

Sie kann das recht gut beurteilen, denn sie selbst hat in dieser Zeit einen radikalen Wandel vollzogen - von der Hausfrau zur landesweit bekannten Aktivistin. Anfangs hatte sie noch ungläubig verfolgt, wie ihr Sohn nach seinem Tod zu einer Ikone der Schwulenbewegung aufstieg und gleichzeitig zur Zielscheibe homophober Hassprediger wurde. Im Dezember 1998 dann rief sie zusammen mit ihrem Mann die Matthew Shepard-Stiftung ins Leben. Seither reist sie kreuz und quer durchs Land, tritt auf Kongressen auf, hält Vorträge an Schulen, wirbt für Akzeptanz.

Audio-Botschaft aus der Hölle

Doch die Quelle, aus der sich Amerikas Vorurteile speisen, ist tief. Der Westboro Baptist Church etwa, angeführt von einem 78-jährigen Pfarrer mit besonderem Draht zum Herrn, gelten Schwule als gottlose Wertezerstörer, denen ewige Verdammnis droht. Auf ihrer Webseite gibt es bis heute einen Bereich zur Mahnung an Matthew Shepards Schicksal - mit seinem von Flammen umzüngelten Bild und einer Audio-Botschaft aus der Hölle.

Judy Shepard lässt sich davon nicht entmutigen. "Sicher bin ich enttäuscht, dass es so schleppend vorangeht, vor allem in der Politik", sagt sie. "Andererseits können wir heute schon viel offener über Fragen der sexuellen Identität sprechen als noch vor zehn Jahren." Sie hofft, dass sich mit einem demokratischen Präsidenten im Weißen Haus noch mehr bewegt und das Gesetz, das den Namen ihres Sohnes trägt, endlich im Kongress verabschiedet wird. "Es wäre eine wichtige Botschaft", sagt die 56-Jährige. "Man kann damit nicht das Denken der Menschen ändern, aber es wäre ein Signal, dass Gewalt nicht hingenommen wird."

Respekt, keine Almosen

In Barack Obama dürfte sie einen Unterstützer finden. Der Senator aus Illinois hat sich gegen die Diskriminierung von Homosexuellen und für eingetragene Lebenspartnerschaften ausgesprochen. Er war auch der erste Präsidentschaftskandidat, der vor farbigen Zuhörern die grassierende Homophobie in der Schwarzengemeinde thematisierte. Die Ehe aber - von vielen Schwulen-Aktivisten als ultimativer Toleranztest apostrophiert - will auch er als heterosexuelles Refugium erhalten. "Wir arbeiten dran", sagt Judy Shepard und lacht. "Der Mann ist lernfähig."

AVP-Sprecherin Kim Fountain dagegen hält Toleranz eher für einen zwiespältigen Begriff. "Er suggeriert, dass uns etwas aus Großzügigkeit gewährt wird, auf das wir eigentlich keinen Anspruch haben", findet sie. Amerikas Homosexuelle bräuchten keine Almosen: "Was wir brauchen, ist Respekt." Judy Shepard wäre schon zufrieden, wenn sich Amerika wenigstens zu etwas mehr Großzügigkeit durchringen könnte.
Quelle: http://www.sueddeutsche.de
Quelle: http://www.spiegelonline.de


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